Interview mit Jutta Cram: "Fehlerhafte Texte waren mir schon immer ein Dorn im Auge"
Es gab im Rahmen dieses Blogs ja schon einige recht spannende Interviews, u.a. mit Markus Jung, Sabine Kanzler-Magrit und Birgit Ebbert, die von ihre Erfahrungen als Autor(in) berichtet haben.
Jetzt kommt es in gewisser Weise zu einem „Seitenwechsel“, denn nun soll die Lektorin Jutta Cram zu Worte kommen, die von ihrer alltäglichen Arbeit erzählt.
Vorhang auf für Jutta Cram!
Anne Oppermann: Jutta, kannst Du Dich vielleicht einmal kurz vorstellen?
Jutta Cram: Gerne, Anne. Nach meinem Magisterstudium der Komparatistik habe ich 1994 bei einem kleinen Verlag ein Volontariat begonnen. Bei diesem Verlag blieb ich vier Jahre lang, nach Abschluss des Volontariats als Lektorin und Produktmanagerin. 1998 fand ich es dann an der Zeit für neue Perspektiven, und da ich schon immer von einer selbstständigen Tätigkeit geträumt habe, habe ich ein kleines Lektoratsbüro gegründet. Zunächst habe ich noch alleine zu Hause „im Dachstübchen“ gearbeitet und mit steigendem Auftragsvolumen schließlich externe Räume angemietet, sodass ich auch Mitarbeiter beschäftigen konnte. Inzwischen sind wir zu dritt und unser Kundenstamm erweitert sich stetig. Wir arbeiten sowohl für Verlage als auch für andere Unternehmen. Es sind also längst nicht nur Buchmanuskripte, die uns anvertraut werden. Das Spektrum der Texte, die wir außerdem zum Lektorat bekommen, ist breit: Anzeigentexte, Imagebroschüren, Branchenstudien, Geschäftsberichte und vieles mehr.
A.O.: Wie bist Du eigentlich auf die Idee gekommen, Lektorin zu werden? Was gefällt Dir besonders an Deinem Beruf – was vielleicht aber auch weniger?
J.C.: Da ich mich schon immer sehr für Sprache interessiert habe und mir schlecht formulierte oder gar fehlerhafte Texte schon immer ein Dorn im Auge waren, lag der Beruf der Lektorin nahe. Besonders gefällt mir die Vielfalt der Texte und Themen, insbesondere seitdem ich mich selbstständig gemacht habe. Das kommt meiner Wissbegierde sehr entgegen, ich lerne täglich etwas Neues. Außerdem ist es ein tolles Erfolgserlebnis, wenn aus einem holprigen, teils vielleicht sogar unverständlichen Text eine Veröffentlichung wird, die es Freude macht zu lesen. Im Prinzip kann man sagen: Je schlechter ein Text ist, desto mehr Spaß macht das Lektorat. Nahezu perfekte Texte, bei denen man nur noch das eine oder andere Komma zurechtrücken oder ein paar Buchstabendreher korrigieren muss, sind da eher langweilig. Bei solchen Texten kann man nur noch auf ein interessantes Thema hoffen.
A.O.: Kannst Du vielleicht einmal den typischen Ablauf des Lektorats eines Buchprojektes beschreiben?
J.C.: Ich tue mich ein bisschen schwer, von einem typischen Ablauf zu sprechen. Die Anforderungen an ein Lektorat sind sehr unterschiedlich, sie variieren von Auftraggeber zu Auftraggeber, selbst wenn man sich wirklich nur auf Buchprojekte und Verlagskunden beschränkt.
Die Zusammenarbeit mit unseren Verlagskunden läuft meist so ab, dass wir das vom Autor abgelieferte Manuskript als Word-Datei erhalten und es dann gemäß den Verlagsvorgaben – meist handelt es sich um Manuskripte für eine konkrete Buchreihe, sie müssen also bestimmte Kriterien erfüllen – überarbeiten. Wir bessern nicht nur Schreibfehler aus, sondern achten auch auf einen roten Faden und auf einen zielgruppengerechten und leicht lesbaren Stil. Außerdem formatieren wir die Texte so, wie der Verlag es haben möchte. Wenn wir mit unserer Arbeit fertig sind, geht das Manuskript entweder direkt oder über den Verlag zurück an den Autor. Nun kann der Autor seinerseits noch Korrekturen bzw. Ergänzungen einfügen und bei Fragen Rücksprache mit uns halten. Dann geht das Ganze wieder an uns zurück zur Schlusskorrektur und schließlich an den Verlag.
A.O.: Bist Du schon während des Schreibprozesses Ansprechpartnerin für den Autor? Wie kannst Du ihm helfen?
J.C.: Nein, die Betreuung vor Manuskriptabgabe hat bisher immer der Verlag übernommen. Übrigens spreche ich hier nur von Sach- und Fachbüchern, Belletristik gehört nicht zu unserem Leistungsspektrum.
A.O.: Ich erinnere mich noch eine Äußerung der Sachbuchautorin Dr. Birgit Ebbert in einem früheren Interview, die sehr überrascht darüber war, wie stark Lektoren mitunter in den Text eingreifen. Wie weit gehst Du mit Deinen Verbesserungsvorschlägen?
J.C.: Das kommt ganz darauf an, wie der Auftrag lautet. Wenn der Auftraggeber meint, wir sollen wirklich nur die Fehler korrigieren und sonst nichts, dann halten wir uns auch daran. Schwer fällt uns das allerdings, wenn der Text beispielsweise keinerlei roten Faden hat und sich ein Bandwurmsatz an den nächsten reiht; in solchen Fällen bleibt dann immer ein mulmiges Gefühl.
A.O.: Ist es denn dann im Grunde nicht der Lektor, der das Buch erst zu dem „macht“, was es später ist? Ist er damit nicht sogar „wichtiger“ als der Autor?
J.C.: Nein, keineswegs. Schließlich liefert der Autor die Inhalte, und ohne guten Inhalt taugt das orthografisch korrekteste und stilistisch schönste Buch nichts. Allerdings sind die besten Inhalte nur wenig wert, wenn der Leser sie nicht versteht oder ihm ein schlechter Stil die Freude am Lesen verdirbt und er das Buch gleich in die Ecke wirft. Insofern sehe ich Autor und Lektor als Kooperationspartner. Und wenn der Autor nicht nur das Wissen zum Thema, sondern auch noch die Fähigkeit zu schreiben besitzt, ist der Lektor letztlich nur noch dafür da, dem Manuskript den letzten Schliff zu geben.
Im nächsten Teil dieses Interviews berichtet Jutta Cram davon, wie sie an neue Kunden kommt, ob man als Autor ein Buch auf eigene Kosten (vor-) lektorieren lassen sollte und ob es sie schon mal in den Fingern gejuckt hat, selbst ein Buch zu schreiben.
9 Kommentare
Empfohlene Kommentare
Erstelle ein Benutzerkonto oder melde Dich an, um zu kommentieren
Du musst ein Benutzerkonto haben, um einen Kommentar verfassen zu können
Benutzerkonto erstellen
Neues Benutzerkonto für unsere Community erstellen. Es ist einfach!
Neues Benutzerkonto erstellenAnmelden
Du hast bereits ein Benutzerkonto? Melde Dich hier an.
Jetzt anmelden