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Personenzentrierung, Digitalisierung und all die anderen Baustellen


Byana

244 Aufrufe

Liebe Fernstudium-Community,

 

wie in meinem letzten Blog bereits angekündigt, wird es diesmal um die aktuellen Herausforderungen in der Behindertenhilfe und dem Teilhabemanagement gehen.

Zu den größten Herausforderungen der letzten Jahrzehnten gehört der mit der Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) eingeleitete Paradigmenwandel. Die zentrale Zielsetzung des BTHG ist es, den Menschen mit Behinderung eine individuelle Lebensführung zu ermöglichen,die der Würde des Menschen entspricht und volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe ermöglicht (nach Paragraph 90, Abs.1, SGB IX). Die Menschen mit Behinderung sollten diesbezüglich selbstbestimmt entscheiden, wie, wo und mit wem sie leben möchten, was per se den Weg zur einer inklusiven Gesellschaft einläuten sollte. Damit einher geht auch die konsequente Umsetzung der Personenzentrierung in der Praxis. Nur lässt es sich leider in der Praxis nicht so ganz einfach umsetzen, auch im Hinblick auf den Wohnungsmarkt. Es ist in der Realität eine Illusion zu glauben, dass der Wohnungsmarkt für Menschen mit schweren Behinderungen etwas hergibt! Statt der Wohnform, ist jetzt nur der individuelle Hilfebedarf entscheidend. Und zwar unabhängig von welchem  Leistungsanbieter.Also die sozialpolitische Wunschvorstellung war die Enthospitalisierung aller Menschen mit Behinderung, was per se erstmals toll klingt. Statt Exlusionsprozesse sollte es zur vollständigen Inklusion in der Gesellschaft in allen Lebensbereichen (Wohnen, Arbeit, Schule,Freizeit,etc.) kommen. Auch das klingt erstmal toll. Bitte versteht mich nicht falsch, ich freue mich wirklich sehr, dass sich die Rechtslage für Menschen mit Behinderung in den letzten Jahren so verbessert hat und ich setze mich wirklich mit vollem ❤️ für die Menschen mit Behinderung ein. Und auch dafür, dass sie mehr Teilhabemöglichkeiten und Chancen bekommen.Ebenfalls freue ich mich auch wirklich über jeden Betroffenen, der durch das BTHG somit eine höhere Lebensqualität erreicht. Aber ich stelle in der Praxis sehr viele Barrieren fest und ich bin mir auch nicht sicher, ob die Gesellschaft eine vollständige Inklusion überhaupt will. Überall stoßen wir auf lauter Barrieren und Hindernisse in der Gesellschaft.  Selbst nur beim inklusiven Besuch eines Kindergartens oder einer Schule eines Kindes gibt es diverse Hindernisse. Und im Erwachsenenbereich ist es auch so.

 

Aber was der ganze und wenn es nach dem sozialpolitischen Willen ziemlich zügig durchzusetzendem  Umstrukturierungsprozess in allen Lebensbereichen  mit den Fachkräften, mit den Einrichtungen und Diensten der Behindertenhilfe macht, mit wie viel mehr zeitlichem und personellen Aufwand dieser Prozess in  der Praxis verbunden sein wird, daran hat man sich wohl im Vorfeld keine Gedanken gemacht. Und das andere große sozialpolitische Ziel die steigende Ausgabendynamik in der Behindertenhilfe zu senken, wenn die Menschen mit Behinderung nicht mehr stationär sondern im eigenen Wohn- und Sozialraum versorgt werden, davon merke ich leider auch nichts. Das Gegenteil ist eher der Fall. Es ist nicht nur so, dass die Ausgaben ziemlich gestiegen sind, sondern auch der monstermässige bürokratischer Verwaltungsaufwand für uns.

 

Aufgrund der Personenzentrierung wurde also die Eingliederungshilfe aus dem System der Sozialen Hilfe herausgenommen, es ist jetzt ein eigener Fachdienst für Teilhabe, der zur den Rehaträgern gezählt wird. Konkret bedeutet dies, dass es zur Auflösung von existenzsichernden Leistungen und den personenzentrierten Fachleistungen kam, wodurch es zu unterschiedlichen Zuständigkeiten führt. Der Fachdienst ist jetzt nur für die Fachleistungen zuständig, für existenzsichernden Leistungen gibt es andere SGB-Träger.Was wiederum zur Zuständigkeitsschwierigkeiten führt. 

 

Um die geeigneten personenzentrierten Fachleistungen für einen Betroffenen auswählen zu können,  ist im Vorfeld ein Beratungsgespräch sowie eine umfangreiche  Bedarfsermittlung durchzuführen. Die Bedarfsermittlung orientiert sich an der ICF und ! länderspezifisch ausgerichtet, während das Gesetz bundeseinheitlich ist. Dies führt in der Praxis ebenfalls  zur gravierenden Problemen. Die Bedarfsermittlung an sich ist sehr umfangreich und besteht aus verschiedenen Formularbögen mit ca. 30 - 50 Seiten, je nach Bundesland. Und dafür sind schon längere Gespräche mit den Betroffenen erforderlich, um den Hilfebedarf aus allen Lebensbereichen erfassen zu können. Allein vom Bedarf her kommen wir aber nicht zur Leistung.

Natürlich hat dies auch sehr viele Vorteile: direkte Dialoggespräche mit Betroffenen, mit gesetzlichen Betreuern sowie den Einrichtungen sind so möglich.Die Betroffenen sollen  sich aktiv am Prozess beteiligen, ihre Wünsche und Lebensvorstellungen äußern.  Somit ist in vielen Fällen eine Bedarfsermittlung auf Augenhöhe mit den Betroffenen möglich. Dies gefällt mir an dem ganzen Verfahren am besten, dass wir uns in einen Interaktionsprozess auf einer sehr professionellen- menschlichen und wertschätzenden Basis begeben. Und auch, dass den Betroffenen jetzt viel mehr personenzentrierte Teilhabefachleistungen zustehen, finde ich sehr sinnvoll. Es gibt sogar teilweise wirklich tolle innovative Leistungen wie die Eltern- oder die Krankenhausassistenz, was es früher im System so gar nicht gab.

Aber anders als früher, wurde die ganze Vertragsgestaltung nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für die Fachkräfte viel komplexer ausgestaltet: früher gab es einen einzigen Leistungs-und Vergütungsvertrag, da war alles geregelt. Jetzt existieren mehrere Leistungs-und Vergütungsverträge einmal fürs Wohnen, einmal für Verpflegung, einmal für personenzentrierte Fachleistungen und ggf. noch eins für individuelle Fachleistungen. Die alten Verträge haben somit alle ihre Gültigkeit verloren und es gibt jetzt eine neue Leistungssystematik, die sehr,sehr komplex ist. Aufgrund von dieser existieren in der Praxis je nach Träger der Behindertenhilfe die unterschiedlichsten  Modelle, die sich wiederum an den Lebensbereichen, die im SGB 9 genannt sind, orientieren. So gibt es für den Lebensbereich Lernen und Wissenanwendung unterschiedlichlichste Assistenzleistungen angefangen von der Assistenz zur Informationserfassung, über Probleme und Entscheidungen oder Konzentrationstraining, u.s.w. Aus jedem Lebensbereiche muss man für den Menschen mit Behinderung die passenden Assistenzleistungen auswählen, diese nach dem zeitlichen Aufwand pro Tag oder Woche erfassen und auf einen Durchschnittswert hochrechnen, um auf eine der angegebenen Intensitätsstufen zu gelangen. Zum Schluss werden dann die Assistenzstufen aus allen Lebensbereichen zusammengefasst. Aufgrund dieser neuen Leistungssystematik gibt es diverse Konzepte, die unterschiedlich ausgestaltet wurden. Zusätzlich besteht je nach Land ein Landesrahmenvertrag, der die Lebensbereiche umfassend beschreibt und Basisleistungen umfasst. Wobei dieser eigentlich nur die Urlaubs-, Krankheits- und nächtlichen Betreuungsumfang oder Rufbereitschaft festlegt. Aber im Regelfall nicht die gemeinschaftlichen Leistungen, die man bislang in jedem Pflege- oder Behinderteneintichtung vorgefunden hat. So z. B. die gemeinschaftliche Wäsche- oder Speiseversorgung aller Bewohner. Dies muss jetzt je nach Einrichtung noch zusätzlich von uns gebucht werden. Und wenn dann alles soweit geklärt ist, muss noch der Gesamtplan bzw. der Teilhabeplan erstellt werden.

 

Damit man das Ganze umsetzen kann, waren natürlich auch andere PC- Programme als die bisherigen erforderlich. Und so wie es halt mit neuen Programmen halt ist, haben diese noch ihre Kinderkrankheiten und natürlich muss das Personal dafür auch noch geschult werden.  Erschwerend hinzu, kommt noch der parallel gleichzeitig stattfindender Digitalisierunsprozess mir der E-Akte dran. Auch dies läuft nicht so reibungslos.Von der obersten Führungsebene wurden Mehrarbeitsstunden angeordnet bis Ende des Jahres. Mindestens 10 - 15 Stunden pro Woche muss man machen, lieber würde man es sehen, dass man 20 - 30 Stunden mehr macht. Und zu all dem wurden dann noch 2 Kolleginnen längerfristig krank, so dass man diese nun auch vertreten muss. Ich kann leider auch wegen des Studiums maximal 10-15 Stunden mehr arbeiten. Mehr geht beim besten Willen nicht. Insgesamt hatte ich in den letzten Wochen und Monaten eine fast 60 Stunden-Woche bei der Arbeit, wenn man dann noch die Zeit für das Studium, für die Familie, Haushalt und sonstige Dinge dazu nimmt, komme ich locker auf eine 80 - 100 Stunden Woche.

 

Trotz all den oben dargestellten Anstrengungen sind wir noch nicht so weit wie wir sollten.  Oh Mann, 🙈🙉 so viel im Rückstand war ich noch nie! Normalerweise habe ich immer geschaut, dass ich einigermaßen auf dem Laufenden bin! Aber ein kleiner Trost: auch den anderen vom Team geht es so wie mir.Und dass der Rückstand  natürlich für zusätzlichen Frust und Ärger bei den Betroffenen und den Einrichtungen sorgt, ist ja auch irgendwie verständlich ! Zeitweise rufen täglich verzweifelte Einrichtungen und Dienste  an und fragen nach, wo ihr Geld bleibt! Auch den Ärger der Kunden bzw. von den verzweifelten gesetzlichen Betreuern bekommen wir deutlich zu spüren. Verbale Attacken uns gegenüber nehmen deutlich zu!

 

Oh, Mann oh Mann, wo führt das Ganze noch hin?Ach so, was ich vergessen habe, aufgrund der ganzen Umstrukturierungsmassnahmen sind ja regelmäßige Fortbildungen auch Pflicht und das Projekt zur inklusiven Kinder-und Jugendhilfe muss natürlich auch nebenbei noch so laufen! Auch diverse Meetings wegen der Umstellungsphase stehen natürlich auch auf der Tagesordnung.

 

So langsam glaube ich, dass wir selbst wieder ganz dringend wieder Supervision brauchen, um den ganzen Frust loszuwerden! Aber die wurde uns aufgrund der enormen Kostensteigerung in der Behindertenhilfe gestrichen. Immer mehr Aufträge und Akten und immer weniger Fachkräfte, die dass alles noch stemmen können. Wir sind leider keine Roboter, sondern nur Menschen. Und die ganze Fahrerein in den Außendienst, die frisst auch unheimlich viel Zeit. Das ganze Team ist zunehmend frustriert und demotiviert.Hoffentlich, 🙏🏻wird es irgendwann mal wieder besser werden!

 

Wie sind denn eure Erfahrungen im Hinblick auf die Überstunden? Wie viele Überstunden müsst ihr denn aktuell machen? Und macht ihr auch die Erfahrung, dass eure Kunden bzw. Zielgruppe zunehmend verbal verstärkt aggressiver werden? Oder richtet sich die Aggressionsbereitschaft nur verstärkt gegen die Mitarbeiter im öffentlichen Dienst?

Wie eure Erfahrungen damit sind, würde mich sehr interessieren. Freue mich, von euch was zu lesen.

 

Liebe Grüße 

 

Byana 

Bearbeitet von Byana

6 Kommentare


Empfohlene Kommentare

Hallo Byana,

 

Deine Zeilen lesen sich interessant und erinnern mich sehr an meine Arbeit. Ich selbst arbeite auf einer Kommunalverwaltung und aufgrund Aufgabenzuwachs, verbunden mit dem Fachlkräftemangel, fällt massig Mehrarbeit und Überstunden an.

 

Ich bin Beamter, habe eine 41 Stunden-Arbeitswoche und schiebe derzeit zwischen 50 und 60 Wochenstunden Dienst. Aufgrund Erkrankung einer Kollegin in der vergangenen Woche leistete ich 67 Stunden... Das geht bereits seit vier Jahren so und die Grenze ist nun erreicht. Mein Dienstherr leitete eine Organisationsuntersuchung ein, mit dem Ziel, Planstellen zu schaffen. Dem muss wiederum letztendlich der Gemeinderat im Rahmen des Stellenplans zustimmen. Warten wir ab, wie sich das alles entwickelt.

 

Um Deine Frage zu beantworten, ist mein Eindruck, dass die Bürger verbal immer aggressiver werden. Gleichzeitig beschränkt sich das meines Erachtens nicht nur auf den öffentlichen Dienst. Die Kassiererin im Einkaufsmarkt wird genauso angegangen wie die Arzthelferin in der Arztpraxis. Die Verrohung der Bevölkerung nimmt zu. Grund dafür ist vielleicht die Abnahme des Lebensstandards aufgrund Inflation, höheren Steuern etc.

 

Ich habe das Gefühl, dass wir uns rückwärts bewegen. Das erkenne ich auch in Deiner Beschreibung im Umgang mit gehandicapten Menschen und dem Teilhabemanagement. Gelegentlich beschleicht mich das Gefühl, dass anstatt Entbürokratisierung eine Bürokratisierung stattfindet, um es den Menschen teilweise schwieriger zu machen, ihre Rechte wahrzunehmen um letztendlich Kosten zu Gunsten des Staates zu sparen.

 

Lasse Dich jedoch nicht entmutigen. Mit Deinem Abschluss kannst Du vielleicht etwas bewegen. In der Hoffnung liegt die Kraft.

 

Viele Grüße!

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Hallo Byana,

 

vielen Dank für deinen interessanten Beitrag. Ich finde sehr nachvollziehbar, was du schreibst und habe großen Respekt vor eurer Leistung.

 

Ich bin nicht sicher, ob ich finde, dass die Gesellschaft entscheiden sollte, ob Inklusion stattfinden soll oder nicht. Ich finde, die behinderten Menschen, die es gibt, sollen in unserer Gesellschaft sichtbar und gleichberechtigt sein, selbst wenn die Mehrheit das nicht möchte. Aber anstrengend durchzusetzen ist es dann vermutlich erst recht.

 

Ich arbeite in der IT eines Klinikums (auch öffentlicher Dienst) und beschäftige mich daher auch mit unseren politischen Rahmenbedingungen. Die Probleme des Föderalismus sind auch bei der Digitalisierung der Krankenhäuser sehr belastend.


Wir haben eine andere Form von Druck als ihr. Anfeindungen kenne ich von meiner Arbeit gar nicht, aber natürlich genervte Anwender, unter Druck stehende Projektleiter und ungeduldige Firmenpartner. Das, was du beschreibst, ist etwas anderes und könnte ich vermutlich auch nicht aushalten.

 

Als ich noch Projektleiterin in einem großen Digitalisierungsprojekt war, habe ich auch in kurzer Zeit enorm viele Überstunden gemacht. Erwartet hat es, glaube ich, Keiner. Also es wurde nicht verlangt wie bei euch. Aber der Job war anders nicht machbar für mich. Seitdem ich in das Team der Softwareentwickler gewechselt bin, mache ich nur noch selten Überstunden.


Ich finde es ehrlich gesagt heftig, wie das von euch verlangt wird. Es gibt doch Verträge? An einen Arbeitsvertrag müssen sich doch beide Seiten halten? Kündigen dann nicht erst recht viele Kollegen oder werden krank? Das kann doch dauerhaft nicht funktionieren?

 

Liebe Grüße 

 

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Zitat

Wie sind denn eure Erfahrungen im Hinblick auf die Überstunden? Wie viele Überstunden müsst ihr denn aktuell machen?

 

In meinem letzten Job sind fast täglich Überstunden angefallen, denn eigentlich waren immer Kolleginnen im Urlaub und / oder krank und als eine von lediglich zwei Vollzeitkräften gehörte man eben zu denen, welche diesen Ausfall kompensieren mussten - angeblich wäre dies aber nicht von uns erwartet worden, aber die Sprechstunde inklusive Vor- und Nachbereitung hätte wohl kaum ohne Arzthelferin / MFA funktioniert...! Ich bin deshalb sehr gespannt, wie sich die Überstunden-Thematik bei meinem neuen Arbeitgeber gestalten wird...

 

Zitat

Und macht ihr auch die Erfahrung, dass eure Kunden bzw. Zielgruppe zunehmend verbal verstärkt aggressiver werden?

 

Im ambulanten Gesundheitswesen ist der Ton, welchen die Patienten an den Tag legen, vor allem seit der Corona-Pandemie erheblich rauer geworden und in vielen Praxen ist es inzwischen leider fast alltäglich, dass das Personal beleidigt, angeschrien und auch verbal bedroht wird...

Bearbeitet von Indigo
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vor 13 Stunden schrieb Skedee Wedee:

Hallo Byana,

 

Deine Zeilen lesen sich interessant und erinnern mich sehr an meine Arbeit. Ich selbst arbeite auf einer Kommunalverwaltung und aufgrund Aufgabenzuwachs, verbunden mit dem Fachlkräftemangel, fällt massig Mehrarbeit und Überstunden an.

 

Ich bin Beamter, habe eine 41 Stunden-Arbeitswoche und schiebe derzeit zwischen 50 und 60 Wochenstunden Dienst. Aufgrund Erkrankung einer Kollegin in der vergangenen Woche leistete ich 67 Stunden... Das geht bereits seit vier Jahren so und die Grenze ist nun erreicht. Mein Dienstherr leitete eine Organisationsuntersuchung ein, mit dem Ziel, Planstellen zu schaffen. Dem muss wiederum letztendlich der Gemeinderat im Rahmen des Stellenplans zustimmen. Warten wir ab, wie sich das alles entwickelt.

 

Um Deine Frage zu beantworten, ist mein Eindruck, dass die Bürger verbal immer aggressiver werden. Gleichzeitig beschränkt sich das meines Erachtens nicht nur auf den öffentlichen Dienst. Die Kassiererin im Einkaufsmarkt wird genauso angegangen wie die Arzthelferin in der Arztpraxis. Die Verrohung der Bevölkerung nimmt zu. Grund dafür ist vielleicht die Abnahme des Lebensstandards aufgrund Inflation, höheren Steuern etc.

 

Ich habe das Gefühl, dass wir uns rückwärts bewegen. Das erkenne ich auch in Deiner Beschreibung im Umgang mit gehandicapten Menschen und dem Teilhabemanagement. Gelegentlich beschleicht mich das Gefühl, dass anstatt Entbürokratisierung eine Bürokratisierung stattfindet, um es den Menschen teilweise schwieriger zu machen, ihre Rechte wahrzunehmen um letztendlich Kosten zu Gunsten des Staates zu sparen.

 

Lasse Dich jedoch nicht entmutigen. Mit Deinem Abschluss kannst Du vielleicht etwas bewegen. In der Hoffnung liegt die Kraft.

 

Viele Grüße!

 

Liebe Skeede,

 

ich danke dir ebenfalls für deine Zeilen. Dann sage ich nochmals, willkommen im Club.

 

Ich finde ebenfalls, dass jetzt irgendwo mal die Belastbarkeitsgrenze erreicht ist und es demnächst reicht. Es geht einfach nicht mehr so im System weiter. Egal mit welchen Kollegen und Kolleginnen aus anderen Ämtern ich rede, finde ich überall vergleichbare Zustände vor: überall Land unter und ein enormer Aufgabenzuwachs für die verbliebenen Fachkräfte. So wie bei euch ja auch. Eine 67 Stunden so in etwa das kommt auch bei uns hin. Und leider wird der Fachkräftemangel nicht kleiner, sondern größer. Dies erschwert das Ganze zusätzlich noch.

 

Unser Dienstherr wird es jetzt wohl auch bei uns mit einer Organisationsuntersuchung versuchen. Da bin ich schon auf die MA der Organisationsuntersuchung sehr  gespannt und auf deren ihre Vorschläge. Sehr sehr schade, finde ich,  dass die oberste Führungsspitze uns die Supervision gestrichen haben. Denn dieses ist für uns auch zur Zwecken der Gesundheits- und Motivationsförderung dringend angebracht. Und auch um die Leute bei uns zu halten. Unser Team hat sich leider auch verkleinert: Von 12 Kolleginnen im THM sind ein paar gegangen : 1 Kollegin in den Ruhestand, 2 in Elternzeit, 2 Langzeitkranke, also sind jetzt nicht mehr so viele übrig. 

Und genau so wie du es beschreibst, so sehe ich es auch: statt Entbürokratisierung, nur  noch mehr Bürokratie. Ich empfinde es auch zwischenzeitlich eher als eine Papier- statt Personenzentrierung an. 

 

Und natürlich Sparzwang überall. Aber eigentlich fehlt  dem kompletten Sozialsystem  doch aufgrund der schweren Krisen in den letzten Jahren doch das Geld in den Kassen. Durch  immer weniger Einnahmen und immer mehr Ausgaben wird das ganze System kollabieren. Das ist jetzt schon absehbar.

 

Und ja du hast Recht, die Verrohrung der Gesellschaft nimmt in allen Bereichen zu.  Nicht nur im öffentlichen Dienst.Das sehe ich jetzt auch so.Jetzt  wo du es sagst, fällt es mir ein, dass ich erst kürzlich gelesen hab, dass auch immer mehr aggressiver Leute in den Notaufnahmen der Kliniken kommen und dass es teilweise welche gibt, wo bereits einen eigenen Sicherheitsdienst haben.

 

Auch ich nehme eine Abwärtsspirale wahr: eigentlich sollte man meinen, dass sich insbesondere die Ämtern untereinander stärken sollten, da ja alle die gleichen Probleme haben, aber auch hier ist zunehmender Zuständigkeitskrieg statt Zusammenarbeit feststellbar. Wir brauchen einen anderen als den eingeschlagen Weg. Die Fachkräfte müssen soweit wie möglich von unnötiger Bürokratie entlastet werden und ja, am besten wäre es, wenn unsere Politiker oder ihre Berater ihren Verstand einsetzen würden. Und vielleicht wäre auch eine Testphase im Vorfeld guNurUnd die Einbeziehung von den Fachkräften aus der Praxis, was umsetzbar ist und was nicht. Nur kurzfristige Lösungen führen so im Endeffekt zut nur noch mehr Kosten.

 

Danke für deinen wertvollen Beitrag. Ach ja, ich hoffe tatsächlich, dass ich durch das nun bald  abgeschlossenes Studiuum was Positives bewirken kann. Ja, trotz allem habe ich tatsächlich die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben!

 

Wünsche dir für deinen weiteren Lebens- und Berufsweg ebenfalls noch alles, alles Gute.

 

Liebe Grüße 

 

Byana 

 

Bearbeitet von Byana
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vor 17 Stunden schrieb Nadja_studiert_Informatik:

Hallo Byana,

 

vielen Dank für deinen interessanten Beitrag. Ich finde sehr nachvollziehbar, was du schreibst und habe großen Respekt vor eurer Leistung.

 

Ich bin nicht sicher, ob ich finde, dass die Gesellschaft entscheiden sollte, ob Inklusion stattfinden soll oder nicht. Ich finde, die behinderten Menschen, die es gibt, sollen in unserer Gesellschaft sichtbar und gleichberechtigt sein, selbst wenn die Mehrheit das nicht möchte. Aber anstrengend durchzusetzen ist es dann vermutlich erst recht.

 

Ich arbeite in der IT eines Klinikums (auch öffentlicher Dienst) und beschäftige mich daher auch mit unseren politischen Rahmenbedingungen. Die Probleme des Föderalismus sind auch bei der Digitalisierung der Krankenhäuser sehr belastend.


Wir haben eine andere Form von Druck als ihr. Anfeindungen kenne ich von meiner Arbeit gar nicht, aber natürlich genervte Anwender, unter Druck stehende Projektleiter und ungeduldige Firmenpartner. Das, was du beschreibst, ist etwas anderes und könnte ich vermutlich auch nicht aushalten.

 

Als ich noch Projektleiterin in einem großen Digitalisierungsprojekt war, habe ich auch in kurzer Zeit enorm viele Überstunden gemacht. Erwartet hat es, glaube ich, Keiner. Also es wurde nicht verlangt wie bei euch. Aber der Job war anders nicht machbar für mich. Seitdem ich in das Team der Softwareentwickler gewechselt bin, mache ich nur noch selten Überstunden.


Ich finde es ehrlich gesagt heftig, wie das von euch verlangt wird. Es gibt doch Verträge? An einen Arbeitsvertrag müssen sich doch beide Seiten halten? Kündigen dann nicht erst recht viele Kollegen oder werden krank? Das kann doch dauerhaft nicht funktionieren?

 

Liebe Grüße 

 

 

Liebe Nadja,

 

ein paar IT'ler mehr, könnten wir ebenfalls gut gebrauchen!😉 Dann könnten zumindest die Kinderkrankheiten der neuen Programmsoftware viel schneller beseitigt werden, wo ich schon jetzt mehrfach gemeldet habe. 

 

Auch ich würde es mir wünschen, dass viel mehr Menschen mit Behinderung sichtbar werden sollten. Und ich finde auch gerade, dass sich ein internationaler Blick gerade vor dem gravierenden Fachkräftemangel sehr lohnen würde! In Finnland nämlich ist es zwischenzeitlich so, dass die Menschen mit Behinderung, die in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung (WfbM) gearbeitet haben, zwischenzeitlich alle auf dem ersten Arbeitsmarkt eingegliedert wurde. Die bekommen da eine ganz andere Unterstützung als hier und werden duch Inklusionsjobcoachs in den ersten zwei Jahren bei der INKLUSION auf den ersten Arbeitsmarkt begleitet. Und dort funktioniert es dann Hand in Hand zwischen Menschen mit und ohne Handicap. Im Gegensatz dazu gelingt  hier in Deutschland gerade mal einmal 1% der WfBM-Beschäftigten der Wechsel auf den ersten Arbeitsmarkt. Somit sind diese auch nicht sichtbar für die Gesellschaft, obwohl mir viele Menschen mit Behinderung sagen, dass sie sich eine Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt wünschen würden. Erst kürzlich hatte ich einen jungen Mann mit Behinderung, der unbedingt eine Schreinerlehre machen wollte und diese auch erfolgreich abgeschlossen hat. Aber da er zwischenzeitlich in einer anderen Stadt umgezogen ist und relativ wenig Unterstützung im eigenen Wohnraum braucht und sich bei vielen Schreinereifirmen persönlich vorgestellt hat inkl. Probearbeiten geleistet hat, ziehen die Schreinereien im letzten Moment ihre bereits erteilten mündlichen Zusage zurück! Er könnte ja häufiger wegen seiner Behinderung fehlen, er wäre vielleicht nicht in der Lage, die erforderlichen Mehrarbeitsstunden bei vielen Aufträgen zu leisten, und, und, und. Für den jungen Mann bedeutet jede Absage wieder eine persönliche Katastrophe und zieht ihn psychisch sehr herunter...Dabei braucht man doch Handwerker hier bei uns ganz dringend! 

 

Andererseits finde ich, dass wir sehr wohl voneinander und miteinander alle gemeinsam etwas lernen könnten. Rein von den Rahmenbedingungen her finde ich nämlich die sonderpädagogischen Schulen gar nicht schlecht: kleine Klassen so von ca. 7 -10 Kindern, individuelle Förderung ist da sehr wohl möglich, Ganztagsbetreuung selbstverständlich und an vielen diesen Schulen sind auch Krankenschwestern, Physio-/Ergotherapie, Logopädie, etc. und ein echt tolles kreatives musikpädagogisches kulturelles Programm mitintegriert. Von solchen Rahmenbedingungen können normale Schulen nur träumen! Da werden die Klassen immer größer, von individuelle Förderung kann keine Rede sein und auch die Ganztagsbetreuung gibt es noch längst nicht überall! Und von therapeutischen und pädagogischen Angeboten können die normalen Schulen nur träumen! Es ist schon mal was, wenn es eine Sozialarbeiterin für die ganze Schule gibt! Und unter diesen Rahmenbedingungen leiden zwischenzeitlich alle, sowohl die Lehrer wie auch die Schüler.

 

Ja, der Föderalismus ist leider auch nicht so förderlich! Weder in der Bildungs-, Gesundheits-, noch in der Sozialpolitik und bei dem eingeleiteten Digitalisierunsprozess. Der Druck ist glaube ich auch überall spürbar. Ob wie bei euch in einer anderen Form oder so wie bei uns von Kundschaft und anderen Akteuren der Behindertenhilfe!

 

Von uns wird aktuell viel verlangt, das stimmt. Und das ist u. a. auch mit ein Grund, weshalb sich unser Team verkleinert hat. 2 Einarbeitungen bei neuen Kolleginnen waren umsonst investierte Zeit, da diese mit der aktuellen Situation gar nicht klar gekommen sind. 2 sind längerfristig krank und 2 in Elternzeit. Also bleiben nicht mehr viele übrig. 

 

Sehr wohl gibt es bei uns Arbeitsverträge, aber da sind Überstunden aus betrieblichen oder unvohersehbaren  anfallenden Sonderaufgaben extra mitaufgeführt. Und die Mehrarbeitsstunden bis Ende des Jahres wurden noch zusätzlich schriftlich angeordnet! Also da wird man wohl nicht mehr viel machen können.

 

Und es ist ja ein politisch gewollter Prozess. Von daher ist es auch schwierig, dagegen vorzugehen. Aber ein bisschen mehr Menschenverstand bei der ganzen Sache würde glaube ich niemanden schaden. Wir allein können doch keine Inklusion in der Gesellschaft vollbringen! Da müssen alle mitspielen! Und alle Systeme und Dienste zusammenarbeiten! Insbesondere auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt brauchen wir mehr Barrierefreiheit! Kann leider noch keine Wohnungen für Menschen mit Behinderung zaubern 💫.

 

Auch dir danke ich recht herzlich für deinen wertvollen Beitrag. Und wünsche dir noch eine schöne restliche Woche.

 

Liebe Grüße 

 

Byana 

 

 

 

 

 

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vor 14 Stunden schrieb Indigo:

 

In meinem letzten Job sind fast täglich Überstunden angefallen, denn eigentlich waren immer Kolleginnen im Urlaub und / oder krank und als eine von lediglich zwei Vollzeitkräften gehörte man eben zu denen, welche diesen Ausfall kompensieren mussten - angeblich wäre dies aber nicht von uns erwartet worden, aber die Sprechstunde inklusive Vor- und Nachbereitung hätte wohl kaum ohne Arzthelferin / MFA funktioniert...! Ich bin deshalb sehr gespannt, wie sich die Überstunden-Thematik bei meinem neuen Arbeitgeber gestalten wird...

 

 

Im ambulanten Gesundheitswesen ist der Ton, welchen die Patienten an den Tag legen, vor allem seit der Corona-Pandemie erheblich rauer geworden und in vielen Praxen ist es inzwischen leider fast alltäglich, dass das Personal beleidigt, angeschrien und auch verbal bedroht wird...

 Liebe Indigo,

 

auch dir danke ich für deinen wertvollen Beitrag. Das kann ich mir auch persönlich gut vorstellen, dass in den Arztpraxen und im kompletten Gesundheitssystem auch viele Überstunden anfallen! Zur Zeiten von Corona war es ja ganz schlimm.

 

Der Ton wird rauer, das merke ich auch bei uns immer wieder.

Wie geht ihr denn um, mit den täglichen verbalen Attacken? Werdet ihr da speziell geschult z. B  im Bereich von Deeskalation. Und wie ist bei euch mit Supervision? Das wäre ja bei euch bestimmt auch angebracht, oder?

 

Liebe Grüße 

 

Byana 

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