In der Patientenperspektive
Auf dem Weg zur Arbeit hatte ich einen kleinen, aber fremdverschuldeten Unfall, der meldepflichtig ist. Da ich zum Glück so gut wie nie in Unfälle verwickelt bin, war ich zunächst überfragt, an wen man sich da wenden muss. Intuitiv kam mir die Idee, zum Betriebsarzt zu gehen (nicht, dass wir noch einen hätten!), doch das war falsch. Auch mein Hausarzt hätte es nicht machen können, da hier ein Mediziner bzw. auch Gutachter gefragt ist, der über die Unfallversicherung abgerechnet wird: In dem Fall ist wohl ein so genannter D-Arzt, ein Durchgangsarzt, für uns verantwortlich. Auch so einen haben wir nicht - ich musste also in eine Partnerklinik. Das fand ich spannend, denn da verlegen ich ab und zu mal Patienten hin und habe sie noch nie gesehen.
Dort angekommen war aber nichts mehr mit D-Arzt, den gibt's so auch nicht mehr, ich sollte in die Notaufnahme; es wäre dasselbe Verfahren - allerdings war ich kein Notfall und hoffte darauf, dass es für Fälle wie mich dann einfach einen Arbeitsmediziner gibt, der kurz abklärt, Sachen unterschreibt und gut ist.
Aber es kam anders und ich wurde tatsächlich mit den normalen Notfällen zusammengewürfelt. Unter anderem wegen Personalmangels.
Allein die Anmeldung war mit 1 Stunde Wartezeit (vor der Tür stehend) versehen. Dann wieder 1,5 Stunden warten, bis ich zum Coronatest durfte. Nach 30 Minuten dann das Go, jetzt in den Wartebereich zu dürfen. Dort 1 Stunde sitzen, dann ging's zum Arztgespräch, das sagenhafte 1,5 Minuten dauerte. Schließlich zum Röntgen, was auch flott ging. Dann sollte ich "nochmal Platz nehmen" (24 Patienten vor mir) und saß, von 10 Uhr bis 16:30 Uhr, ohne dass etwas geschah. Es gab kein Essen, keinen Snack-/Kaffeeautomaten und zu lesen lagen lediglich sämtliche BILD-Varianten aus.
So in etwa bis 14 Uhr waren immer mal wieder Leute aufgerufen worden, danach aber irgendwie nicht mehr. Das Team hatte längst Übergabe und dadurch gewechselt. Nachdem ich mich um 4 entschied, mal auf Station rumzulaufen, war in den Arztzimmern auch das Licht aus und der Flur schon dunkel.
Schließlich fand ich noch einen Pfleger, bei dem ich mich dann auch abmeldete, denn ich muss ja auch noch nach Hause pendeln. Der hatte da auch vollstes Verständnis für. Er sagte dann auch ehrlich, dass er nicht wüsste, ob heute noch jemand drankommt oder nicht.
In meinem Fall ging das okay, weil es nur um Abklärung und Meldepflicht ging. Einige im Wartezimmer hatten aber deutlich sichtbarere Beschwerden und saßen genau so lange wie ich, auch Kinder oder Alte. Wenn man wirklich Brüche, Schmerzen etc. hat und über so eine Zeitspanne nicht drankommt, dann aber gute Nacht.
Im Endeffekt weiß man ja, dass man in der Notaufnahme, wenn man in der Priorität eher weiter hinten kommt, so lange sitzen muss, dass man im Grunde selbst Medizin studieren kann. Aber wie brutal krass unterbesetzt solche Kliniken sind...das komplette Ausmaß! - wird einem nochmal daran bewusst. Das schlägt einem regelrecht ins Gesicht. Zu den Pflegern muss ich da aber sagen, dass sie allesamt sehr freundlich und bemüht waren. Aber hätte ich da länger gewartet, wäre ich vermutlich zu Staub zerfallen.
Ich bin also nach ungefähr 8 1/2 Stunden unverrichteter Dinge aus der Klinik gegangen. Was ich für mich mitnehme, dass ich die Hilflosigkeit unserer Patienten noch besser verstehen kann und dass sie dem System so misstrauen. Sämtliche Negativberichte über Arztkontakte (bzw. Nicht-Kontakte) hält man auch schnell mal für übertrieben. Fragt sich nur, wo das so hinlaufen soll mit unserem Gesundheitssystem.
Ich glaube, irgendeine Fernuni muss noch das Fernstudium "Humanmedizin" erfinden 😃. Wenn die Unis "Landärzte" verpflichten können, kann man dann nicht sowas für D-Ärzte oder andere Notfallärzte, oder wo auch immer es brennt, möglich? Aber ich fürchte, das Problem ist eher die Personalfluktuation in manchen Gegenden als tatsächlicher Ärztemangel, richtig?
Jedenfalls: Alles ist heile. Und ich eine Erfahrung reicher.
Bleibt gesund & haltet zusammen,
LG
Feature Foto: Tara_Winstead/pexels
Bearbeitet von Vica
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